29.6.09

2 Amsoldingen bis Frangy

Do. 7. Mai, Amsoldingen - Schwarzenburg
Bei tiefblauem Himmel geht es heute in fast schon kitschiger Postkartenromantik mit dem Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau im Rücken durch eine wunderschöne, doch für die Wanderbeine ziemlich hügelige Landschaft. So stehen denn abends um 17 Uhr, als ich wirklich todmüde und mit schmerzenden Füssen von den vielen Asphaltkilometern in Schwarzenburg eintreffe, 890 Höhenmeter Aufstieg auf dem Zähler meiner Uhr. Mühsam kämpfe ich mich unter die Dusche und stelle mit Erschrecken fest, dass sich nun auch unter der linken Fussballe, genau am gleichen Ort wie rechts, eine saftige Blase gebildet hat. Wenn das nur gutgeht... Das nächste Restaurant ist gottlob nicht weit und so humple ich in meinen Strandsandalen runter und esse eine feine Walliser Röschti.



1: Die Kirche von Amsoldingen mit dem Stockhorn Panorama
2: Unterwegs im Hain
3: Das schöne Bernbiet
4,5: Unterwegs in der Postkartenschweiz bei Blumenstein mit Eiger, Mönch und Jungfrau im Hintergrund


Fr. 8. Mai, Schwarzenburg - Fribourg
Endlich gibts mal eine kürzere Etappe, das tut meinen beiden geschundenen Füssen gut. So schlafe ich mal aus und mache mich erst um 0930 auf den Weg. Ich lasse nun die Alpen definitiv hinter mir und wandere über eine weitläufigere Kulturlandschaft ins Fribourgische hinein. Das Wetter ist bedeckt und zum Teil weht ein kräftiger Wind. Zum Mittagessen gibt es wieder mal Birchermüsli vom Coop, diesmal liegend auf der frisch gemähten Fussballwiese inmitten von Tafers. Nach dem Abmarsch sind dann auch schon bald die ersten Häuser von Fribourg sichtbar und um 14 Uhr erreiche ich den Bahnhof. Hier treffe ich meine ehemalige Studienkollegin Anne, die mich nun zu ihr nach Hause fährt. Den ganzen Nachmittag ausspannen....Zuerst im Garten und als es zu windig wird lasse ich mir ein Schaumbad ein und bade bis zum Abend bei toller Rockmusik. Nach einer abschliessenden Kalt-/Warmdusche für die Füsse gehts zum Ausspannen aufs Sofa. Ah Pilger sein kann manchmal wirklich schön sein.... Am Abend treffe ich noch den Rest der Familie, denn Mann und die drei Kinder und wir verbringen einen wirklich schönen Rest des Tages.




Sa. 9. Mai, Fribourg - Romont
Das Programm geht am nächsten Morgen gleich sehr angenehm weiter: Frühstücken im Garten und nach dem Abschied von der Familie fährt mich Anne wieder zurück an den Jakobsweg mit dem Vorteil, dass ich dadurch etwa 2 Stunden gespart habe auf meinem heutigen Weg nach Romont. Um 1030 geht es bei der Zisterzienserabtei Hauterive los. Trotz grösstenteils Asphaltstrassen fühle ich mich heute echt gut. Kurz vor Mittag taucht ein Restaurant auf mit der verlockenden Einladung zu 400 g T-Bone Steak für nur 25 Franken. Aber erstens ist es mir zu früh und zweitens will ich nicht noch 400 g Übergewicht mit mir rumschleppen. So entscheide ich mich weiterzulaufen und dann das nächste Restaurant aufzusuchen. Ein kapitaler Fehler: Bis Romont taucht kein einziges Restaurant mehr auf. So komme ich nach Romont nur gestärkt durch ein kleines Frühstück am Morgen und einen Liter Wasser. Nun aber schnell ins Zimmer und dann sofort ins Restaurant ! Es ist genau 1530 ! Kein einziges Restaurant in diesem Kaff will einem müden Pilger ein warmes Mahl bereiten. Selbst auch Hotels, die sich so extrem pilgerfreundlich geben ! So bleibt nur noch der türkische Kebab Shop und so schlinge ich halt so ein Ding runter, zusammen mit 1.5 Liter Süssmost über die Gasse. Immerhin gelingt es mir das erste Mal, nach Ankunft nicht gleich halbtot ins Bett zu fallen, sondern mir auch noch das Dörfchen, das wunderschön auf einem Hügel gelegen ist, zu besichtigen. Vorsichtig optimistisch schaue ich auf meinen immer besser werdenden Fuss, meine kleiner werdenden Blasen und langsam realisiere ich, dass ich es rein körperlich wirklich bis nach Spanien schaffen könnte. Weiter motiviert durch einen Telefonanruf einer Kollegin aus Paris sowie gestärkt duch eine Pizza finde ich schliesslich meinen wohlverdienten Schlaf.



1: in Romont


So. 10. Mai, Romont - Corcelle Le Corbat
Wow heute ist der 10. Tag, seit ich am 1. Mai in Einsiedeln losgelaufen bin und ich bin immer noch unterwegs und wie ! Meinen Füssen geht es den ganzen Tag schon fast gut, trotzdem dass der grösste Teil der Strecke über nerv- und füssetötenden Asphalt führt finde ich meistens ein kleines Stücklein, auf dem es sich viel angenehmer läuft und so bin ich schon bald in Moudon und bin heute das erste Mal echt motiviert und körperlich in einer guten Form. Wie gestern denke ich, dass es um 11 noch zu früh ist für das Mittagessen und so gehe ich weiter. Schon wieder ein Fehler wie sich zeigen wird..... Am Sonntag ist die nächste Lastwagenbeiz geschlossen und die nächsten 3 Stunden dann gar keine Beiz mehr. Oh du schöne Romandie, so was habe ich in der Deutschschweiz nie erlebt ! Dann verlaufe ich mich auch noch und muss mich bei Leuten in einem Haus erkundigen, die mir dann wieder auf den Weg helfen. Nach einer Weile kommt auch endlich eine Beiz, wo ich dank des Muttertags wegen den vielen Gästen eine geschlagene Stunde auf meine Spaghetti Bolognaise warten muss. Die beiden Vermieter der einzigen Privatunterkünfte sind dann telefonisch auch nicht erreichbar, so dass ich es mit der teuersten Variante versuchen muss. Dafür werde ich dann auch gleich mit den Auto abgeholt und sehe im Zimmer das erste Mal seit fast 2 Jahren wieder Schweizer Fernsehen. Oh je, wie mir das altbacken und zähflüssig vorkommt.... Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich ziehe eine erste Bilanz meiner Wanderung während dem quälenden Dahinplättschern von SF1 und blicke auf 10 ziemlich harte Tage zurück. Ich denke und hoffe, dass das Gröbste überstanden ist und nun endlich der schöne Teil des Laufens beginnt. Ich habe bis jetzt zwar sehr Glück mit dem Wetter gehabt, sicher die richtige Ausrüstung dabei, schöne Einblicke in eine Postkartenschweiz bekommen und bis jetzt ein einmaliges Erlebnis erlebt. Ich bin immer noch fit am Abend und freue mich sehr auf die nächsten Tage ! Ich bin nun ziemlich sicher, dass ich es bis Santiago schaffen werde, sofern es mir nicht vorher langweilig werden sollte.




Mo. 11. Mai, Corcelle Le Corbat - Morges
Am Morgen werde ich per Auto zum Jakobsweg zurückgefahren und dann gehts bei bewölktem Himmel und also idealen Wanderbedingungen los. Ich bin wiederum gut erholt, sehr fit und motiviert. Erstmals muss ich auch kein Pflaster auf meine alte Blase geben. Ich wandere durch einen wilden urwüchsigen Wald und habe schon bald mal den höchsten Punkt erreicht, von wo ich dann auch bereits die ersten Häuser von Lausanne sehe. Bei einem super Aussichtspunkt esse ich mein Birchermüesli und danach geht es zügig und dank guter Beschilderung ohne Umwege durch Lausanne. Langsam denke ich auch wieder mal an die Unterkunft und hier beginnt der Ärger: Die eine Vermieterin verpasse ich und dann bin ich auch schon in Morges.... Ich telefoniere weiter - der eine Vermieter hat aufgegeben und die andere ist in Barcelona. Die letzte Möglichkeit: ein Zelt auf dem Campingplatz von Morges für 5 Personen für happige 75 Franken zu mieten ! Doch wiederum folgt das Gute sogleich: Ich treffe Wolfgang beim Zeltaufbau, der mit dem Fahrrad von Augsburg bis Santiago fahren will und beim Nachtessen stösst noch Erwin aus Ingolstadt dazu, der das Zelt mit mir teilen wird und wir so die hohen Kosten für das Zeit teilen können. Komischerweise sind beide unterwegs wegen privaten, sprich familiären Problemen, die aber in unserer Männerrunde auch nicht angesprochen werden. Beim wärmenden Strahl des Heizofens kommt dann im Zelt auch noch beinahe so etwas wie Campingromantik auf, auch wenn ich mich schon wieder auf die nächste Nacht mit einem festen Dach über dem Kopf freue. Weiter erfreulich ist, dass ich körperlich noch in einem sehr guten Zustand bin und jetzt nach 11 Wandertagen so etwas wie Fitness sich langsam zutage traut....



1: Mittagspause oberhalb Lausanne
2: Endlich am Genfersee
3: Mein Luxuszelt auf dem Campingplatz in Morges
4: Wolfgang, der erste Pilger, den ich treffe, der auch bis Santiago unterwegs ist


Di. 12. Mai, Morges - Gland
Wieder regnet es mal am Morgen, doch immerhin scheint es diesmal bald aufzuhören, was es dann auch bald darauf auch wirklich tut. Um 0730 verlasse ich das Zelt und mache mich auf den Weg Richtung Genf. Irgendwie scheint es heute aber nicht so zu laufen, denn meine Beine tun weh und bedrohlich melden sich genau neben den schon verheilten Blasen neue. Im nächsten Dorf gibt es auch keine Croissants sondern nur ein Cafe, so dass ich ohne Frühstück weiter gehen muss und mir halt unterwegs eine Ragusa Schokolade mit Rivella genehmige. In Rolle gehe ich ins Migros Restaurant zum Mittagessen. Als ich danach wieder Richtung Strasse laufe begegnet mir ein nervöser Erwin wieder, dem ein paar Regentropfen schon ganz aus dem Konzept gebracht haben. Dieser macht mich dann auch selber so nervös, dass ich nur der Nase nach laufe und prompt den Weg verfehle. Als dann mitten auf einem Feld auch noch der richtige Regen beginnt der mich zwingt, mein Poncho wieder überzuwerfen, ist dann das Glück perfekt. Mein Tagesziel Nyon erreiche ich heute nicht, ich bin froh, als ich nach einem Defilee an mehreren Megavillen vorbei endlich Gland erreiche und das erste Mal in einer Pilgerunterkunft schlafe. Das Pilgermenu im benachbarten Restaurant entpuppt sich für 20 Franken als veritables 4-Gang Menu auf weissgedecktem Tisch. Was will der Pilger mehr... So gehe ich dann gesättigt in die Unterkunft, wo ein Berner Pilger mit einem riesigen Rucksack gerade dabei ist, die im Denner gekaufte Wurst herunterzukriegen....

Mi. 13. Mai, Gland - Genf
Nach einer schnarchligen Nacht zeigt sich am Morgen auch die Sonne wieder. So bin ich denn schon um 0730 abmarschbereit und merke, dass es heute ein guter Tag wird: Die Beine sind gut, die Füsse plagen mich nicht und es geht flott daher. Zum Znüni gehts in ein Tea Room und das Mittagessen gibts in Versoix vom Migros auf der Wiese: Gurkensalat, ein Laugenbrötli mit Fleischkäse, Heidelbeeren sowie zum Trinken ein Badoit und ein Blutorangensaft, was will man da mehr. Der Nachmittag geht dann wieder am Genfersee weiter durch sehr teure Villenviertel, bis ich plötzlich auf der lärmigen und hektischen Seestrasse in Genf ankomme. Was haben die auch alle so zu eilen man hat ja das ganze Leben vor sich ?? Nach einigen Telefonaten finde ich bei einer sehr rührigen älteren Frau ein Zimmer und finde ihr Haus dank meines GPS im Nu, vorbei an hockhackigen leicht bekleideten Damen mitten im Genfer Vergnügungsviertel. Meine Schlummermutter bekocht und bemuttert mich sehr ausgiebig - logisch als pensionierte aber immer noch leidenschaftliche Krankenschwester, und gibt mir dann gleich noch ein Set Pflaster mit auf den Weg. So fallen mir denn nach den Erdbeeren auch schon bald die heuschnupfengeplagten Äuglein zu und nur mit Mühe kann ich nach diesem langen Tag diesen Tagesreport im Bett noch zu Ende schreiben.....


Do. 14. Mai, Genf - Beaumont
Nach einem herzlichen “Au revoir“ bei meiner Genfer Schlummermutter gehts voller Elan wieder auf den Weg, d.h. auf die Suche nach dem nächsten Jakobsweg Wegweiser. Flott geht es durch die schicke und schon sehr französisch anmutende Stadt und schon bald werde ich schwermütig, denn ich stehe am unbewachten Grenzübergang nach Frankreich. Wahnsinn ! Ich habe eine erste wichtige Etappe auf meinem Weg nach Spanien vollbracht ! Noch schnell das obligate Foto gemacht und dann geht es zügig weiter und schliesslich den Berg hoch. Schon bald komme ich zur gemäss Führer einzigen Herberge weit und breit, wo ich mir weitere Informationen erhoffe, wo ich weiter des Weges nächtigen kann. Doch niemand ist hier ! Die nächste Unterkunft ist etwa 6 Stunden weiter und so beschliesse ich schweren Herzens, mittags um 12 in einem Weiler ohne Laden und Restaurant, meinen heutigen Marschtag zu beenden und mit leerem Bauch einfach zu warten. Im Laufe des Nachmittags stösst dann noch Kristel aus D. dazu, eine Psychologin, die Spiritualität empfindet, wenn sie sich morgens um 6 in einen Kreuzgang legen kann. So bemühen wir uns um ein Gespräch um die Zeit totzuschlagen. Bis abends um 7 müssen wir beide hungrig warten, bis endlich die Gastgeberin auftaucht und uns ein etwas lieb- und geschmackloses Nachtessen serviert. Der Abend läuft dann gemütlich aus und wir schauen voller Sorge auf den morgigen Tag, da der Barometer fällt und fällt...



1: Die grüne Grenze nach Frankreich


Fr. 15. Mai, Beaumont - Frangy
Es kommt wie wir es vorausgesehen haben, denn es regnet und der Nebel hängt in den Bergen. Immerhin fühl ich mich gut und nachdem das spärliche und dazu noch trockene Brot mit dem noch spärlicheren Käse verstaut ist, gehts um 0730 gleich im Regenzeugs los. Die Füsse fühlen sich echt toll an und es tut nach langen 14 Tagen endlich nichts mehr weh. Guten Mutes geht es über Felder und Wälder und anders als in der dicht besiedelten Schweiz sind hier auch keine grösseren Dörfer mehr zu finden, geschweige denn ein Laden oder gar ein Restaurant. So bleibt es mir nur übrig zu laufen, bis ich dann endlich nach 5 Stunden einen trockenen und windstillen Unterstand sogar mit Stuhl finde, wo ich mein trockenes Zeugs runterwürgen kann, um dem Körper zumindest etwas neue Energie zuzuführen. Bei Wasser und Brot - genau so ist es. Dazu ist es auch noch empfindlich kühler als gestern und so mache ich mich - natürlich wieder im Regenponcho - nach 15 Minuten wieder auf den Weg. Mit der Zeit ist auch auf Gore Tex kein Verlass mehr, denn mein rechter Fuss wird nun zunehmend nass. Dann lasse ich es wegen zunehmender Blasengefahr für heute bleiben und mache in Frangy in einem kleinen Hotel Station und bin um 1430 bereits im warmen und trockenen Bett. Immerhin weiss ich jetzt, dass ich auch einen Regentag überstehe, sowohl von der Moral als auch von der Ausrüstung her. Ich fühle mich immer noch gut und spaziere noch zum Spar und zum Bäcker, um mich für morgen endlich mal richtig einzudecken. Beim Nachtessen treffe ich Kristel wieder samt zwei älteren Damen aus Österreich, die uns mit ihrem Stakkato die Ohren mit belanglosem Zeugs vollschwatzen. Wie immer im richtigen Leben trifft man sich auch dem Jakobsweg zweimal und so werde ich diese beiden Damen noch mehrmals treffen und sie wegen der grossen Leistung, die sie erbringen, schätzen lernen. Immerhin ist das Essen gut, denn das Restaurant is spezialisiert auf savoyische Spezialitäten.



1: Im Nebel und Regen (wie romantisch...)

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